Symposiumsbericht: SURFACE – Fit for 2050? Strategies for achieving the EU’s „no net land take“ goal

Von Eva-Maria Schatz und Antonia v. Carlowitz.

Das von der EU gesetzte Flächenverbrauchsziel „Netto-Null“ stand im Mittelpunkt der Abschlussveranstaltung des vom Umweltbundesamt geförderten SURFACE-Projekts zu Strategien zur Überwachung und Reduzierung des Flächenverbrauchs in Europa.  Es fand am 4. Februar 2022 als virtuelles Symposium mit über 140 Teilnehmenden statt. Die Konferenz bestand aus Vorträgen von Expert:innen aus der Wissenschaft und Politik und einer anschließenden Podiumsdiskussion. Der folgende Bericht fasst die aufgeworfenen Probleme und vorgestellten Lösungsansätze zur Umsetzung des von der EU gesetzten Flächenverbrauchsziels Netto-Null zusammen. Eine der Autorinnen des Beitrags war wissenschaftliche Mitarbeiterin im SURFACE-Projekt und hat auf dem Symposium vorgetragen.

 

Anlass des Symposium – Kein Nettoflächenverbrauch bis 2050

Siedlungen und Infrastruktur benötigen Platz und sie breiten sich immer weiter aus. In der EU nehmen sie jährlich mehr als 500 km² bisher unbebauter Flächen in Anspruch (Europäische Umweltagentur 2019). Um den steigenden Flächenverbrauch in Europa einzudämmen, hat sich die Europäische Kommission 2011 das Ziel gesetzt, den Nettoflächenverbrauch bis 2050 auf null zu reduzieren (Flächenverbrauchsziel „Netto-Null”, Europäische Kommission 2011). Vor allem in den letzten Jahren ist das Problem stärker in den Fokus der Politik und der allgemeinen Öffentlichkeit gerückt. Ein Beispiel hierfür ist die Forderung der Grünen „Wohnraum für viele statt für wenige zu schaffen“ und die Debatte um den Bau von Einfamilienhäusern, die sie damit im Bundestagswahlkampf ausgelöst haben (siehe Deutschlandfunk, 18.02.2021). Auch umstrittene Industrie- und Infrastrukturprojekte wie der Bau des Tesla-Werkes in Grünheide (BUND, 20.02.2020) und der Autobahnausbau durch den Dannenröder Wald (WWF, 01.10.2020) fallen in die Kategorie des Flächenverbrauchs.

Die anhaltenden Herausforderungen bei der Überwachung und Reduzierung der Flächeninanspruchnahme und aktuelle politische Strategien auf nationaler und EU-Ebene waren Thema des Symposiums „Fit for 2050? Strategies for achieving the EU’s ’no net land take‘ goal” („Fit für 2050? Strategien zur Erreichung des EU-Ziels ‚kein Nettoflächenverbrauch‘”). Es wurde vom SURFACE Projekt ausgerichtet, welches seit 2017 am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) den Stand nationaler Ziele, Strategien und Politikansätze zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme erforscht. Im Folgenden werden die Beiträge zusammengefasst und in den Kontext des bestehenden Flächen- und Bodenschutzrechtes gesetzt.

Neuerungen des EU-Rechts

Die EU hat mit der von den Mitgliedstaaten übertragenen Zuständigkeit zur Verwirklichung gemeinsamer Ziele (Art. 1 EUV) und der damit verbundenen Möglichkeit des Erlasses von Verordnungen, Richtlinien und Beschlüssen (Art. 288 AEUV) eine besondere Leitfunktion. In der Podiumsdiskussion des Symposiums wurde die richtungsweisende und unterstützende Bedeutung unionaler Zielformulierungen für national festzulegende Zielbestimmungen ausdrücklich betont.

Der im Jahr 2019 verabschiedete Europäische Grüne Deal ist eines der wichtigsten wegweisenden Dokumente, mit denen die Europäische Union klima- und umweltbedingten Herausforderungen entgegentreten will. In Bezug auf den Boden- und Flächenschutz entfaltet er laut EU-Kommission insofern Bedeutung, als dass gesunde Böden eine Voraussetzung für die Bewältigung anderer Herausforderungen sind, die durch den Grünen Deal adressiert werden (z.B. Klimaneutralität, Biodiversitätsschutz, Nahrungssicherheit; siehe Fragen und Antworten zur Bodenstrategie der EU; auch Humberto Delgado Rosas Vortrag im Symposium).

Die aus diesem Grund Ende 2021 aus dem Grünen Deal hervorgegangene EU-Bodenstrategie für 2030 wurde im Symposium vom Direktor für Biologische Vielfalt, Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission, Humberto Delgado Rosa, vorgestellt. Sie hat zum Ziel, die Böden in Europa bis 2050 wieder in einen gesunden Zustand zu versetzen und bis 2030 Bodendegradationsneutralität zu erreichen (2. Vision und Ziele). Zudem rückt sie die Bedeutung einer Landnutzungshierarchie ins Licht (3.2 Boden und die Keislaufwirtschaft). Hierbei sollen die am stärksten geschädigten Böden zuerst genutzt und einer zirkulären Nutzung von Böden und Flächen Vorrang vor der Neuinanspruchnahme naturbelassener Flächen eingeräumt werden (näheres zur EU-Bodenstrategie in diesem Beitrag von Lorenz Strauch).

Eine spannende Neuerung ist das für 2023 geplante Bodengesundheitsgesetz der EU. Delgado Rosa berichtete, dass darin bestimmte Mindestwerte für die Bewertung der Gesundheit und Funktionstüchtigkeit der Böden festgelegt und deren Einhaltung von den Mitgliedstaaten systematisch überwacht werden soll (näheres dazu in der  EU-Bodenstrategie für 2030).

Ein weiteres im Symposium thematisiertes Instrument der EU war die im Jahr 2014 überarbeitete Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Durch die Einbeziehung von Fläche als Schutzgut in der Umweltverträglichkeitsprüfung wurde in der Richtlinie versucht, Einfluss auf den Flächenverbrauch in den europäischen Mitgliedstaaten zu nehmen. Laut der Referentin Eva-Maria Schatz, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Department Umwelt- und Planungsrecht am UFZ, scheint diese Änderung in der Praxis bislang nur unzureichend angekommen zu sein. Dennoch bestehe Anlass zur Hoffnung, dass dieses Signal die Bedeutung und den Wert von Fläche stärker ins Bewusstsein rücken könne.

Strategien der Länder

Neben den Instrumenten der Europäischen Union wurden auch Strategien zum Flächen- und Bodenschutz in einzelnen europäischen Mitgliedstaaten genauer beleuchtet.

Der Referent Martin Schamann, Vertreter des österreichischen Ministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, präsentierte das österreichische Raumentwicklungskonzept 2030, das 2021 von der Österreichischen Raumordnungskonferenz entwickelt wurde. Es beinhaltet unter anderem den Beschluss für die Erarbeitung der ersten Bodenstrategie für Österreich. Zentrale Zielsetzung der Bodenstrategie soll die maßgebliche Verringerung des Flächenverbrauchs bis 2030 auf 2,5 Hektar täglich und die Entsiegelung von Flächen sein. Zudem soll ein bundesweit einheitliches Monitoringsystem für die Flächeninanspruchnahme eingerichtet werden.

Eddy Wille, Vertreter aus dem Department Bodenmanagement der Öffentlichen Abfallagentur von Flandern, stellte im Symposium Strategien zur Reduzierung des Flächenverbrauchs im belgischen Flandern vor. Sie sind im 2021 vom Umweltministerium herausgegebenen Bericht „Ruimterapport Vlanderen” festgehalten. Hier wird laut Wille maßgeblich auf die bekannte Abmilderungshierarchie „Vermeidung, Verminderung und Ausgleich“ gesetzt (so etwa schon 2012 von der EU vorgegeben: European Union, 2012). Dabei spielt auch das Flächenrecycling eine große Rolle, welches sich zwischen „Vermeidung und Verminderung“ einordnet. Des Weiteren soll Flächeneffizienz („ruimtelijk rendement”, auch übersetzbar als „räumliche Effizienz”) eine Rolle spielen. Ziel der belgischen Strategie ist ein effizienterer Gebrauch von Fläche unter anderem durch Intensivierung, gemeinsame oder vorübergehende Nutzung, Wiederverwendung oder Mehrfachnutzung (Ruimterapport Vlanderen, S. 282). In der auf seinen Vortrag folgenden Diskussion stand der Aspekt der Kompensation/des Ausgleichs im Mittelpunkt. Nach Ansicht einiger Teilnehmer bürgt dieser die Gefahr, dass neue Flächeninanspruchnahmen leichter gerechtfertigt werden könnten. In der Abschlussdiskussion wurde das Problem der Kompensation erneut aufgegriffen. In Österreich sei laut Schamann unzureichend geklärt, was im Rahmen des Flächenverbrauchsziels „Netto-Null“ als Kompensation gilt und was genau kompensiert werden muss (beispielsweise Ökosystemservices oder Bodenfunktionen). Thematisiert wurde darüber hinaus, dass die steigende Nachfrage nach Land und Fläche zunehmend zu Nutzungskonflikten führen wird.

Umsetzung – Probleme und Lösungsansätze

Im Hinblick auf die praktische Umsetzung von Flächensparzielen, nannte Christoph Schröter-Schlaack, Leiter des SURFACE-Projektes, die Instrumente des Flächenzertifikatehandels, den Infrastrukturkostenrechner und die Umweltverträglichkeitsprüfung (für weitere Informationen siehe Bovet ZUR 2020 Heft 1, 31; Bovet und Marquard 2020). Auf den Flächenzertifikatehandel wurde in der Abschlussdiskussion ausführlicher eingegangen, wobei Dirk Messner, Präsident des deutschen Umweltbundesamtes, ihn mit dem Emissionshandel verglich und als mögliches Element einer Flächen-Kreislaufwirtschaft in Betracht zog. Der Moderator der Abschlussdiskussion Bernd Hansjürgens, Leiter des Themenbereichs Umwelt und Gesellschaft und des Departments Ökonomie am UFZ, wies diesbezüglich auf positive Ergebnisse von Fallstudien hin.

Hinsichtlich der Umweltverträglichkeitsprüfung ist die durch die EU verordnete Aufnahme von Fläche als Schutzgut, laut Schatz, in vielen Staaten zumindest normativ erfolgt. Die praktische Wirksamkeit scheint ihrer Ansicht nach jedoch durch verschiedene Faktoren, wie fehlende Definitionen, systemische Probleme und die teils uneindeutige Differenzierung der Begriffe „land“ (dt.: Fläche) und „soil“ (dt.: Boden) erschwert (siehe auch Schatz et. al. 2021).

Über das Verständnis von Fläche und Boden hinaus bestünden Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen verschiedenen, in einigen Sprachen synonym verwendeten, Ausdrücken zur Beschreibung von Flächeninanspruchnahme. So unterscheiden sich die englischen Begriffe „land take” und „land consumption” hinsichtlich ihrer Definition und der darunter verstandenen Konzepte (Marquard et al. 2020), was insbesondere für das Monitoring und eine, z.B. auch ländervergleichende, Bilanzierung von Indikatoren berücksichtigt werden sollte. Andernfalls sind die Operationalisierung und die konsistente Überwachung der Umsetzung politischer Ziele erschwert (ebd.).

In Bezug auf eine aussagekräftige Datenerhebung hob während des Symposiums Stefan Fina, Leiter des Bereichs Geoinformation und Monitoring am Forschungsinstitut für Landes- und Stadtentwicklung der RWTH Aachen University, die Bedeutung präziser Indikatoren und Datensätze für die Planung und Überwachung von Flächeninanspruchnahme hervor. Auch er unterstrich, dass die vielen verschiedenen Ansätze und Methoden der Datenerhebung und Analyse den Vergleich und die Interpretation der Ergebnisse verkomplizieren und Trendanalysen verfälschen können. Insbesondere zeigten national erhobene Statistiken zur Flächeninanspruchnahme eine hohe Divergenz zu den durch Satellitenbilder erhobenen Daten des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus auf. Vor allem sei es laut Fina wichtig, auch politische Entscheidungsträger*innen für diese Unterschiede zu sensibilisieren.

Zusätzlich kamen unter anderem systemische Hindernisse zur Sprache: Auf Ergebnisse einer SURFACE-Befragung bezugnehmend, nannte Schröter-Schlaack Umsetzungsdefizite, die aufgrund von instabilen politischen Verhältnissen, Korruption und fehlenden Kontrollmechanismen auftreten. Schatz ergänzte, dass zudem Herausforderungen aufgrund von historischen Baurechten und entgegenstehenden Anreize in Planungssystemen bestünden.

Hansjürgens machte in der Abschlussdiskussion darauf aufmerksam, dass Zielkonflikte zwischen verschiedenen Nachhaltigkeitszielen weiter zunähmen, was die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme und den Bodenschutz beträfe. So empfiehlt etwa der SRU den zukünftigen Ausbau von erneuerbarer Windenergie auf 2% der gesamten Landfläche Deutschlands (SRU 2022). 

Abschlussdiskussion

In der Abschlussdiskussion wurde der Schutz von Fläche und Boden als „multidimensionale Herausforderung” eingeordnet und wiederholt seine zentrale Bedeutung unter anderem für Klimaschutz, Erhalt der Biodiversität und Schaffung nachhaltiger Agrar- und Ernährungssysteme global, aber auch auf europäischer und nationaler Ebene betont. Ein Teil der Debatte drehte sich um Zielkonflikte mit anderen Umweltschutzbelangen, wie etwa das neue 2% Ziel des Windenergieausbaus, und Synergieeffekten, wie zwischen Bodenschutz und menschlicher Erholung und Gesundheit (Stichwort Stadtgrün). Während Delgado Rosa auf Nachfrage hin erläuterte, dass die EU-Bodenstrategie sich hauptsächlich auf Synergieeffekte konzentriere und sich diesbezüglich optimistisch zeigte, betonte Messner die Notwendigkeit, Zielkonflikte besser zu verstehen, um zu Synergieeffekten gelangen zu können. Es gebe weiterhin einen hohen Bedarf an Forschung, auch müssten Maßnahmen und Gesetze stetig angepasst und weiterentwickelt werden. Die Notwendigkeit einer besseren Kooperation zwischen Akteuren in der Wissenschaft und Politik wurde an mehreren Stellen der Debatte betont. Dabei wird in Deutschland viel Hoffnung in die neue Regierung und in eine engere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Ministerien, vor allem Umwelt und Landwirtschaft, gesetzt.

Eva-Maria Schatz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und hat sich bis Juni 2021 im Rahmen SURFACE-Projekt mit den Schutzgüren Fläche und Boden in der Umweltverträglichkeitsprüfung beschäftigt.

Antonia v. Carlowitz ist Studentin der Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig. Sie hat ihr Pflichtpraktikum im Department für Umwelt- und Planungsrecht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig absolviert.

 

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