Datenschutz schlägt Katastrophenschutz?

Von Prof. Dr. Christian Calliess und Felix Schumacher

Als die Einwohner der Stadt Paiporta im Südwesten von Valencia in Spanien Anfang November 2024 mit den Aufräumarbeiten begannen, war ihre Stadt kaum wiederzuerkennen. In den vertrauten Straßen und Gassen lagen Autos wie von unsichtbarer Hand verstreut, in den Häusern waren Mobiliar und Einrichtung völlig vom angespülten Schlamm zerstört, Brücken waren wie Pappaufsteller zusammengebrochen. Nur wenige Tage zuvor hatte ein gewaltiges Starkregenereignis die spanische Mittelmeerküste heimgesucht. Mehr als 230 Menschen kamen bei der historisch größten Flutkatastrophe der modernen spanischen Geschichte ums Leben.

Voraussetzungen urbaner Klimaanpassung

Starkregenereignisse zählen zu den frühesten, sichtbarsten und spürbarsten Folgen der Klimakrise weltweit. Wer glaubte, Starkregen komme nur in vermeintlich exotischen Urlaubsparadiesen vor, wurde spätestens durch die Flutkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 eines besseren belehrt. Die Folgen der Überschwemmungen in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind noch immer nicht vollständig beseitigt.

Doch der Mensch ist zunehmendem Starkregen in Folge der Klimakrise nicht hilflos ausgeliefert. Die Starkregenereignisse in Spanien und im Ahrtal hatten vor allem deshalb so verheerende Folgen, weil die Menschen trotz vorhandener Informationen in der Wissenschaft und bei Behörden über keine hinreichenden Kenntnisse über lokale Starkregenrisiken verfügten (siehe hier und hier, Rn. 3027 ff.). Dadurch fehlte es schlicht an einem hinreichenden Bewusstsein über die Möglichkeit und die Auswirkungen von Starkregen.

Für die Katastrophenprävention spielen außerdem Maßnahmen der klimaangepassten Stadtentwicklung eine entscheidende Rolle. Dazu zählen insbesondere Maßnahmen der sog. blau-grünen Infrastruktur (dazu hier) und sog. Schwammstadtkonzepte. Beides zielt unter anderem darauf, den Abfluss, die Speicherungsfähigkeit und die Rückhaltung von Wasser in Städten beispielsweise durch Gründächer, sog. Baumrigolen oder urbane Wasserreservoirs zu verbessern. Neben der erhöhten Resilienz gegenüber Starkregenereignissen haben solche Maßnahmen unter anderem positive Nebeneffekte für die Biodiversität, die Luftqualität, die Hitzeprävention und die Bewältigung von Trockenperioden in Städten.

Starkregenkarten als Präventionsinstrument

Für die Umsetzung solcher Maßnahmen fehlt es bisher jedoch oft an rechtlichen Anordnungsinstrumenten, die es Städten ermöglichen, insbesondere ein dezentrales Niederschlagsmanagement bei Gebäuden und Flächen im privaten Eigentum verbindlich vorzuschreiben und durchzusetzen (siehe Nachweise hier). Auch das seit Juli 2024 geltende Klimaanpassungsgesetz des Bundes ändert daran wenig, sondern setzt vornehmlich auf Planungsinstrumente, die den Planungsträgern einen recht weiten Spielraum überlassen (dazu hier). Nach der geltenden Rechtslage hängt die Effektivität der Klimaanpassung in Städten also wesentlich von dem Wissen und der Bereitschaft privater Akteure im Hinblick auf die Bewältigung der Klimaanpassungsaufgaben ab.

Um diese Voraussetzungen zu schaffen, ist die Erstellung und Verbreitung sogenannter Starkregengefahrenkarten unerlässlich. Diese haben unter anderem in Reaktion auf das Starkregenereignis im Ahrtal in Deutschland eine immer weitere Verbreitung gefunden. Auch die nationale Wasserstrategie der Bundesregierung sieht daher die Verankerung einer bundesweiten Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung von Gefahren- und Risikokarten zum Schutz vor lokalen Überflutungen im Zuge von Starkregenereignissen im Wasserrecht vor (hier, S. 101).

Beispiel Berlin

Einen vergleichsweise frühen und pionierhaften Beitrag zur Erforschung von Starkregenrisiken und zur Erstellung von Starkregenkarten hat für das Land Berlin das Forschungsprojekt SENSARE geleistet, aus dem für das gesamte Land Berlin gebäudeindividualisierte Starkregengefahren- und hinweiskarten hervorgingen. Die Karten sollte die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verkehr und Klimaschutz veröffentlichen. Überraschend verhinderte dieses Vorhaben allerdings die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit mit der Begründung, die gebäudeindividualisierte Information der Bevölkerung über Starkregenrisiken verletze das Recht der betroffenen Grundstückseigentümer auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten nach der Datenschutz-Grundverordnung 2016/679/EU, DS-GVO (einsehbar hier). Auf die Fragwürdigkeit dieser Rechtsauffassung haben die Autoren bereits an anderer Stelle hingewiesen.

Nunmehr hat die Berliner Datenschutzbeauftragte jedoch ihre Ansicht geändert und die Veröffentlichung der Starkregengefahren- und hinweiskarten (siehe hier) freigegeben. In ihrem jüngsten Jahresbericht führt die Behörde nunmehr aber aus, der angemessene Ausgleich zwischen dem Schutz der personenbezogenen Daten und Belangen der urbanen Klimaanpassung erfordere in jedem Einzelfall die Einwilligung der von der Veröffentlichung betroffenen Person oder eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Informationszugang und dem Interesse der Grundstückseigentümer an einer Nichtveröffentlichung der Daten. Zudem bedürfe es einer vorherigen Anhörung sämtlicher betroffener Personen. Diese Anhörung könne auch nicht nach § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG ausnahmsweise entbehrlich sein, da in § 9 Abs. 1 S. 3 UIG ein gegenüber § 28 Abs. 1 VwVfG spezielleres Anhörungserfordernis geregelt worden sei, das keine Ausnahmen vorsehe (Jahresbericht 2023, S. 23 f.).

Praktisch haben die Interessenabwägung im Einzelfall sowie das Anhörungserfordernis zur Folge, dass die Erfüllung der in § 10 Abs. 1 UIG geregelten Pflicht aller öffentlichen Stellen, die Öffentlichkeit in angemessenem Umfang aktiv und systematisch über die Umwelt zu unterrichten, praktisch vereitelt wird. Denn sowohl eine einzelfallbezogene Abwägung der betroffenen Interessen sowie die Anhörung setzen voraus, dass die Behörde zunächst eine umfassende Sachverhaltsermittlung anstellt, die Ergebnisse dieser Ermittlung im Einzelnen berücksichtigt und gegeneinander abwägt, und diesen Vorgang in ihrer Begründung erkennen lässt. Eine generalisierende Vorwegnahme der Abwägung dergestalt, dass die Behörde abstrakte Vorgaben für das Verhältnis zwischen dem Datenschutz von Grundstückseigentümern und den Belangen des Katastrophenschutzes und der Klimaanpassung trifft, wäre demnach sowohl ermessens- als auch verfahrensfehlerhaft.

Eine Ermittlung der spezifischen Sachlage und eine Anhörung jedes einzelnen Grundstückseigentümers bei wohl mehreren tausend im Privateigentum stehenden Grundstücken in Berlin erforderte indes einen enormen Sach- und Personalaufwand, für den gerade in Zeiten von Haushaltskürzungen im Land Berlin schlichtweg kein Raum besteht. Im Ergebnis stünde also die bereits erfolgte Veröffentlichung der Starkregenkarten rechtlich „auf wackeligen Füßen“, der Datenschutz stäche also doch in der Praxis generell den Katastrophenschutz. Das ergibt aus einer datenschutzrechtlichen Perspektive durchaus Sinn, in der die Vorgaben des deutschen UIG von den mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts ausgestatteten Vorschriften der DS-GVO überlagert werden.

Anforderungen des Unionsrechts

Abgesehen von dem bereits fragwürdigen Problem, ob und inwieweit die Betroffenheit eines Grundstücks durch Starkregenrisiken überhaupt als personenbezogenes Datum im Sinne der DS-GVO eingeordnet werden kann, verkennt diese Auffassung jedoch, dass auch das Umweltinformationsrecht seit langem unionsrechtlich verwurzelt ist. Art. 7 der Umweltinformationsrichtlinie 2003/4/EG (UIRL), schreibt jene in § 10 Abs. 1 (und Abs. 5 UIG) verankerte Unterrichtungspflicht verbindlich fest. Sucht man in diesem Zusammenhang nach einer unionsrechtlich vorgesehenen Beteiligungspflicht, so sucht man vergebens. Stattdessen stellt man fest, dass das Anhörungserfordernis nach § 9 Abs. 1 S. 3 UIG erst im Gesetzgebungsverfahren zum deutschen UIG durch den Bundesrat wohl in der guten Absicht eingeführt wurde, die Verfahrensbeteiligung zu verbessern. Es kann allerdings wohl nicht angenommen werden, dass der Bundesrat damit Maßnahmen des Katastrophenschutzes von vornherein unmöglich machen wollte, zumal er wohl eher die unmittelbar von § 9 Abs. 1 S. 3 UIG geregelte Konstellation eines individuellen Antrags nach § 4 UIG und nicht die Konstellation des Katastrophenschutzes im Blick hatte. Auf diese findet § 9 Abs. 1 S. 3 UIG erst über § 10 Abs. 6 UIG Anwendung. Es darf daher als Redaktionsversehen gelten, dass § 9 Abs. 1 S. 3 UIG nicht von dem Verweis aus § 10 Abs. 6 UIG ausgenommen wurde.

Zudem gerät § 9 Abs. 1 S. 3 UIG angesichts des Fehlens eines derartigen Verfahrenserfordernisses für die Konstellation des Katastrophenschutzes in der UIRL in einen Konflikt mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz. Dieser Grundsatz schränkt seinerseits das aus Art. 291 Abs. 1 AEUV folgende Prinzip der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie ein. Danach dürfen Mitgliedstaaten zwar im Grundsatz frei entscheiden, wie sie ihr Verwaltungsverfahren und ihre Verwaltungsorganisation in vom Unionsrecht geregelten Bereichen ausgestalten; diese Entscheidungsfreiheit darf aber nicht dazu führen, dass die Durchsetzung des Unionsrechts praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (siehe nur hier, Rn. 12). Wie gesehen hätte eine einzelfallbezogene Anwendung von § 9 Abs. 1 S. 3 UIG aber genau diese Konsequenz, indem sie die Verwirklichung von Art. 7 UIRL praktisch weitgehend unmöglich machte.

Will man also die Schlussfolgerung der Unionsrechtswidrigkeit von § 9 Abs. 1 S. 3 UIG vermeiden, muss man den Weg der unionsrechtskonformen Auslegung gehen und auf eine Anhörung verzichten. Das deutsche Recht bietet dafür durchaus methodische Spielräume, etwa durch eine analoge Anwendung von § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG.

Nun könnte man allerdings auf den Gedanken kommen, dass die später erlassene DS-GVO nach dem auch im Unionsrecht geltenden lex-posterior-Grundsatz der älteren UIRL vorgeht. Allerdings hat die DS-GVO gerade für den Fall einer Kollision mit unionsrechtlich geregelten Pflichten Vorsorge getroffen: nach Art. 6 Abs. 1 lit. c) der DS-GVO sind Datenverarbeitungen zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erlaubt, der der Verantwortliche unterliegt. Eine solche rechtliche Verpflichtung zur aktiven und systematischen Veröffentlichung von Informationen regelt Art. 7 UIRL.

Anforderungen von EMRK und Aarhus-Konvention

Dieses Ergebnis bestätigt sich, wenn man auf die Hintergründe von Art. 7 UIRL blickt. Die Vorschrift geht nämlich zum einen auf die Entscheidung des EGMR in Guerra u.a. v. Italien zurück. In dieser wertete es der EGMR als Verletzung von Art. 8 EMRK, dass eine Behörde die Öffentlichkeit nicht über die von einem Störfallbetrieb ausgehenden, aber noch nicht konkret drohenden Gefahren unterrichtete. Diese Situation ist mit dem Risiko von Starkregenereignissen vergleichbar. Über Art. 52 Abs. 3 der GRCh ist die Rechtsprechung des EGMR überdies bei der Auslegung des Unionsrechts zu berücksichtigen.

Zum anderen setzt die Vorschrift die Vorgaben aus Art. 5 Abs. 2, Abs. 3 der Aarhus-Konvention um. Diese verpflichten die Vertragsstaaten unter anderem, eine offene und tatsächlich zugängliche Verfügbarkeit von Umweltinformationen zu gewährleisten (siehe hier, S. 100 ff.). Eine Rechtfertigung dafür, tatsächlich vorliegende Starkregenkarten geheim zu halten und nicht zu veröffentlichen, ist im Lichte dieser Vorgaben nicht zu erkennen. Da die EU Vertragspartei der Aarhus-Konvention ist, stehen diese Vorgaben nach Art. 216 Abs. 2 AEUV normenhierarchisch sowohl über der UIRL als auch über der DS-GVO (siehe auch hier, Rn. 50). In der Normenhierarchie des Unionsrechts „sticht“ das Recht auf Umweltinformation also umgekehrt den Datenschutz.

Fazit

Es zeigt sich somit, dass auch eine verfahrensrechtlich erschwerte Veröffentlichung von Starkregenkarten nicht den Vorgaben des Unionsrechts genügt. Vielmehr erfordern sowohl das Unionsrecht als auch die Aarhus-Konvention eine proaktive Ausstattung der Bevölkerung mit Informationen über Starkregengefahren, damit diese sich nicht nur vor Starkregenereignissen wie jüngst in Spanien oder im Ahrtal schützen und auf diese vorbereiten, sondern auch aktiv an der Jahrhundertaufgabe der klimaangepassten Stadtentwicklung mitwirken kann. Diese Vorgaben könnten in Kürze wieder sehr relevant werden, da das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie gegenwärtig eine bundesweite Hinweiskarte für Starkregengefahren erarbeitet (siehe hier). Es bleibt daher zu hoffen, dass das in der nationalen Wasserstrategie angekündigte Vorhaben einer Verankerung der Starkregenkarten im Wasserrecht alsbald umgesetzt wird, um rechtssichere Grundlagen für den Katastrophenschutz und die Klimaanpassung in Deutschland zu schaffen.

Der Autor Calliess ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbes. Umweltrecht und Europarecht an der Freien Universität Berlin; der Autor Schumacher Wiss. Mitarbeiter ebenda.

Disclaimer: Der Text beruht teilweise auf Überlegungen, welche die Autoren bereits in NVwZ 2023, 1361 veröffentlicht haben.