Von Sonja Kahl.
Zwischen dem 18. und 21. Oktober 2021 fand die Siebte Vertragsstaatenkonferenz zur Aarhus Konvention statt. Im Vordergrund stand der Schutz von Umweltaktivisten und NGOs, die sich insbesondere in Belarus zunehmend staatlicher Unterdrückung ausgesetzt sehen. Die Konferenz hat deshalb nicht nur den schnellen Reaktionsmechanismus zum Schutz von Umweltaktivisten eingeführt, sondern auch die Entscheidung des Compliance Committee gegen Belarus angenommen. Die Annahme der Entscheidung erfolgte zum ersten Mal in der Geschichte der Konvention nicht einvernehmlich, sondern infolge einer Abstimmung. Darüber hinaus werfen auch andere Berichte des Compliance Committee Licht auf neue Fragen zur Anwendung und Auslegung der Konvention – mit möglicherweise erheblichen politischen und rechtlichen Folgen. Weiterhin ist Guinea-Bissau als erster afrikanischer Staat der Konvention beigetreten.
Einleitung
Aus Anlass des 20. Jahrestags des Inkrafttretens des Übereinkommens fand zwischen dem 18. und dem 21. Oktober 2021 im Genfer Palais des Nations die Siebte Vertragsstaatenkonferenz der Konvention statt, auf der sich Vertragsstaaten, internationale und zivilgesellschaftliche Organisationen und weitere Interessengruppen über die Ziele, Erfolge und Herausforderungen rund um die Konvention austauschen konnten.
Die Aarhus Konvention ist ein Übereinkommen der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE), das auch unter dem leicht sperrigen Namen Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung am Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (1998) bekannt ist. 47 Vertragsparteien aus Europa und Eurasien (46 Staaten und die EU als regionale Organisation) haben die Konvention ratifiziert und sich dazu verpflichtet, Einzelnen den freien Zugang zu Umweltinformationen, die Beteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zu gewähren. Somit schreibt die Aarhus Konvention als erster völkerrechtlicher Vertrag Einzelpersonen Verfahrensrechte im Umweltschutz zu. Personen und Organisationen haben auch das Recht, Vertragsbrüche einzelner Vertragsstaaten von einem Compliance Committee überprüfen zu lassen, welches einen Vertragsbruch feststellen und Empfehlungen für den betroffenen Staat verfassen kann.
Die Vertragsstaatenkonferenz in Genf war unterteilt in ein Hochrangiges Segment (High-Level Segment) und ein Allgemeines Segment (General Segment). Die interessantesten Entscheidungen konzentrierten sich im Bereich des Allgemeinen Segments. Im Vordergrund standen insbesondere die 20 Entscheidungen des Compliance Committee, welche durch die Vertragsstaatenkonferenz offiziell angenommen werden mussten. Die darin enthaltenen Empfehlungen sind zwar unverbindlich, können aber je nachdem, wie sie formuliert sind, einer diplomatischen Ohrfeige gleichkommen.
Der Saal war gefüllt mit einer bunten Mischung von Konferenzteilnehmern. Neben den Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) saßen dort die Delegierten zahlreicher Staaten; vertreten waren sowohl demokratische Staaten als auch solche, die nur so tun. Bei dieser Kombination war es nicht ganz überraschend, dass die Vorstellungen der Teilnehmer nicht immer übereinstimmten.
Die Frage Belarus
Im Vordergrund der Konferenz stand das „belarussische Problem“. Seit mehreren Jahren sehen sich belarussische Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten zunehmend verschärfter Polizeigewalt und staatlicher Unterdrückung ausgesetzt. Über 250 NGOs sollen allein im Jahr 2021 aufgelöst worden sein. Bereits 2017 hatte das Compliance Committee daraufhin in seinem Verfahren gegen Belarus (C102) Verstöße des Staates gegen die Konvention festgestellt und auf die besondere Ernsthaftigkeit der Situation hingewiesen. In Folgebericht im Juli–August 2021 stellte das Committee fest, dass sich die Lage für belarussische Umweltaktivisten nicht verbessert, sondern vielmehr noch weiter zugespitzt hatte (Report on Compliance (VI/8c)). Belarus ließ sich davon nicht beeindrucken und löste im August kurzerhand die NGO EcoHome (Экодом) auf, die die usprüngliche Beschwerde vor dem Committee eingelegt hatte. Die Auflösung erfolgte aufgrund willkürlich vorgebrachter Formalitäten – so soll die NGO Dokumente nicht eingereicht haben, die nie verlangt worden waren. Viele sahen darin eine eindeutige Vergeltungsmaßnahme für die Aktivitäten der NGO.
Während daher auf der Konferenz Task Forces ihre Berichte abgaben und Finanzfragen geklärt wurden, liefen im Hintergrund angespannte Verhandlungen zwischen Belarus und den anderen Vertragsstaaten. Belarus konnte dabei auf die Unterstützung von Kirgisistan, Kasachstan und Armenien zählen. Norwegen und die Schweiz führten den Block der übrigen Vertragsstaaten an. Das Sekretariat der Konvention, das Compliance Committee und EcoHome (oder was davon übrig ist) bemühten sich ebenfalls darum, die Verhandlungen voranzubringen. Belarus blieb jedoch weitgehend bei seiner Linie – wahrscheinlich standen die Delegierten selbst unter dem Druck der Führung aus dem Heimatland.
Je länger die Verhandlungen währten, desto angespannter wurde die Stimmung. Keiner der unterbreiteten Vorschläge wurde angenommen und langsam wurden in der Lobby einige Stimmen lauter, man solle Belarus doch einfach ausschließen, es mache die ganze Konvention zur Farce, wenn auf Verstöße keine Konsequenzen folgten. NGOs planten bereits einen Walk Out. Andere argumentierten wiederum, dass mit einem Ausschluss von Belarus einer der einzigen Kommunikationskanäle zu dem Staat wegfallen und sich die Lage örtlicher Umwelt-NGOs nur verschlimmern würde. Immerhin beteilige sich Belarus, welches sich sonst keinem ähnlichen internationalen Aufsichtsmechanismus unterwirft, an Verfahren vor dem Compliance Committee.
Als auch am letzten Tag des Allgemeinen Segments kein Konsens gefunden werden konnte, musste es zur Abstimmung kommen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Konvention beschlossen die Vertragsstaaten nicht einvernehmlich, sondern im Wege der Abstimmung, die C102 betreffende Entscheidung anzunehmen. Sie gaben Belarus auf, EcoHome zu reetablieren, ansonsten werde man dem Staat dessen besonderen Rechte und Privilegien unter der Konvention ab dem 1. Februar 2022 entziehen. Wie Belarus reagiert, bleibt abzuwarten – nach einem Austritt aus der Konvention sieht es jedoch zunächst nicht aus.
Weitere bedeutende Berichte des Compliance Committee
Insgesamt nahm die Vertragsstaatenkonferenz 19 auf den Empfehlungen des Compliance Committee basierende Entscheidungen zu Vertragsbrüchen durch einzelne Vertragsstaaten an. Die Annahme der Entscheidungen erfolgte im Konsens und daher auf weniger spektakuläre Weise. In keinem Staat war die Situation mit Belarus vergleichbar, jedoch soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch andere Staaten ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht immer eingehalten haben.
So wurden die Anerkennungskriterien für Umweltvereinigungen im deutschen Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) durch das Committee als zu eng . Nach deutschem Recht müssen Umweltstiftungen nicht binnendemokratisch organisiert sein – die Anerkennung als Umweltverband nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 UmwRG setzt jedoch eine basisdemokratische Verfasstheit voraus. Somit verwehre die Norm in unzulässiger Weise den Zugang der Stiftungen zur gerichtlichen Überprüfung von Umweltentscheidungen (C137).
Das Compliance Committee stellte auch Vertragsverletzungen durch Großbritannien fest. Es beanstandete insbesondere den Prüfungsumfang britischer Richter bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Behördenentscheidungen mit Umweltauswirkungen (bspw. Baugenehmigungen) (C90). Insbesondere würden die Richter keine hinreichend eigenständige Bewertung der Umweltauswirkungen von Bauvorhaben anstellen, sondern relevante Gutachten lediglich auf ganz offensichtliche Fehler hin überprüfen (sog. Wednesbury reasonableness test). Das Committee hielt dabei ausdrücklich fest, dass es nicht die Vereinbarkeit des Wednesbury-Prüfungsmaßstabs mit der Konvention untersuche, sondern sich lediglich auf Einzelfälle beschränke. Dennoch ist der Fall von hoher Relevanz, denn er stellt nicht nur Aspekte des Jahrzehnte alten Wednesbury–Tests infrage, der in der britischen Rechtsordnung eine fundamentale Rolle spielt, sondern befasst sich allgemein mit dem gerichtlichen Prüfungsumfang im Hinblick auf hochkomplexe wissenschaftliche Fragen. Ein weiteres Verfahren dazu (C156) ist noch anhängig.
Glimpflich davon kam die EU. So hatte das Committee bereits in zwei Verfahren (C32 und C128) festgestellt, dass die EU Umwelt-NGOs keinen ausreichenden Zugang zu europäischen Gerichten gewährleistet. NGOs müssten dazu in der Lage sein, direkt Vertragsverletzungsklagen gegen Entscheidungen der EU (bspw. Beihilfeentscheidungen der EU-Kommission) einzureichen – die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens vor nationalen Gerichten reiche nicht aus. Die Vertragsstaatenkonferenz beschloss, die Annahme eines Teils der Entscheidung auf die nächste Konferenz in 2025 zu verschieben. Die Blockadehaltung der EU und die Berufung auf ihre Sonderstellung stieß auf heftige Kritik durch NGOs, insbesondere weil diese Strategie der EU bereits auf der Konferenz 2017 erfolgreich gewesen war.
Erwähnenswert ist auch der Bericht des Committee zu C120 (Slowakei). In dem Dokument wurde kein Verstoß des Staates gegen die Konvention festgestellt, weshalb der Vertragsstaatenkonferenz auch keine entsprechende Entscheidung zur Annahme vorgelegt wurde. Die rechtlichen Auswirkungen des Berichts sind daher nicht ganz eindeutig. Fest steht jedoch, dass das Committee seine zukünftigen Entscheidungen auf den im Bericht enthaltenen rechtlichen Ausführungen aufbauen wird und er noch in vielen Vertragsstaaten relevant werden könnte. Das Committee stellt darin fest, dass Vertragsstaaten die effektive Beteiligung der Öffentlichkeit auch bei der Vorbereitung von Gesetzen mit Umweltbezug gewährleisten müssen. Dies gilt insbesondere für die Vorbereitungsphase innerhalb der Exekutive, bevor der Gesetzesentwurf dem Parlament vorgelegt wird. In Deutschland beträfe dies die Vorbereitung eines Gesetzesentwurfes durch die Bundesregierung, der anschließend im Bundestag diskutiert werden soll. Zurzeit sieht Deutschland in dieser Phase allerdings keine besondere Öffentlichkeitsbeteiligung vor. Eine Ausnahme bildet das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgvG), für das die Feststellungen des Committee in C120 noch bedeutsam werden könnten.
Der schnelle Eingriffsmechanismus für Umweltschützer und andere Entscheidungen
Eine bedeutende organisatorische Entscheidung stellt die Schaffung eines schnellen Eingriffsmechanismus für Umweltschützer (Rapid Response Mechanism for Environmental Defenders) dar. Der Mechanismus sieht die Wahl eines Sonderberichterstatters (Special Rapporteur) vor, die auf einer gesonderten Konferenz 2022 erfolgen soll. Der Berichterstatter soll Maßnahmen zum Schutz von Personen ergreifen können, die sich infolge ihres Engagements für die Umwelt Sanktionen, Verfolgung oder Gewalt ausgesetzt sehen. Der Berichterstatter kann hierfür diplomatische Kanäle nutzen, öffentliche Stellungnahmen verfassen oder internationale und nationale Einrichtungen auf die Situation aufmerksam machen.
Die Maßnahme stellt eine Reaktion auf die traurige Tatsache dar, dass Gewalt und Schikanen gegen Umweltschützer keine Seltenheit sind. Immer wieder kommt es zu Menschenrechtsverletzungen in Form von Bedrohungen, polizeilichen Hausdurchsuchungen, körperlicher Gewalt und sogar Mord.
Nicht besonders begeistert von der ganzen Idee war die belarussische Delegation, die sich insbesondere daran störte, dass der Berichterstatter in einer geheimen Abstimmung gewählt werden soll, wenn keine konsensuelle Entscheidung zustande kommt. Der Berichterstatter sei nur hinreichend legitimiert, wenn er im Konsens gewählt werde. Die belarussische Position konnte sich nicht durchsetzen, im Tagungsbericht wurde jedoch der Vermerk aufgenommen, dass Belarus es sich vorbehalte, einen nicht einvernehmlich gewählten Sonderberichterstatter nicht anzuerkennen.
Eine weitere bedeutsame Entwicklung stellt der Konventionsbeitritt von Guinea-Bissau dar. Damit schloss sich erstmals ein afrikanisches Land – und somit ein Nicht-UNECE-Staat – der Konvention an. Guinea-Bissau wurde herzlich willkommen geheißen – mit der Hoffnung, dass sich auch andere Beobachterstaaten wie Usbekistan zu einem Beitritt entschließen können.
Darüber hinaus wurden zwei Mitglieder des Compliance Committee, darunter auch der Chair, verabschiedet und durch ihre Nachfolger ersetzt.
Fazit
Die Vertragsstaatenkonferenz markiert den 20. Jahrestag der Aarhus Konvention und wirft ein Licht auf die vielen Herausforderungen, vor denen die Vertragsstaaten stehen. Insbesondere der Schutz von Umweltaktivisten und NGOs ist in den Vordergrund gerückt. Obwohl die zunehmenden Restriktionen und Schikanen, denen Umweltschützer mancherorts ausgesetzt sind, Besorgnis erregen, ist es ein gutes Zeichen, dass die internationale Staatengemeinschaft beschlossen hat, das Thema anzugehen und eindeutig Stellung zu beziehen gegen Staaten, die sich nicht an ihre Verpflichtungen halten. Darüber hinaus ist es nach wie vor spannend, sich mit den Berichten und Fällen des Compliance Committee zu beschäftigen, die sich mit zunehmend komplexen Rechtsfragen zur Anwendung und Auslegung der Konvention befassen.
Sonja Kahl ist Doktorandin an der Universität Freiburg zum Thema Umweltklagen vor regionalen internationalen Gerichten in Afrika und Lateinamerika. Die Promotion wird durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert). Nebenbei arbeitet Sonja als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der Erneuerbaren Energien bei der Clearingstelle EEG|KWKG in Berlin. 2021 war sie Praktikantin im Sekretariat der Aarhus Konvention.