Geopolitik, Recht, „Zeitenwende“: Gewässerbewirtschaftung unter neuen Vorzeichen?

Von Omid Bechmann.

Omid Bechmann

Mit der Captatio Benevolentiae, dass Wasser keine übliche Handelsware sei, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden müsse, leitet Erwgr. 1 der Wasserrahmenrichtline (WRRL) ein. Auf die Vorschrift wird in vielen Publikationen Bezug genommen; vornehmlich wenn es darum geht, den wasserrechtlichen Horizont einleitend zu umreißen (statt vieler Köck, ZUR 2015, S. 1, 3 Fn. 1).  Bei der ersten Normlektüre richtet sich die Aufmerksamkeit, soweit ersichtlich, in aller Regel mehr auf die tatbestandliche Handlung des Schützens als auf die des Verteidigens. Einmal darauf gestoßen drängt sich allerdings die Frage auf, wann der präventive Schutz gegenüber der, so legt es der „gemeine Sprachgebrauch“ (kritisch Becker/Martenson, JZ 2016, S. 779ff.) doch nahe, reaktiven Verteidigung unzureichend sein soll. Was bezweckte der europäische Gesetzgeber mit gerade diesem begrifflichen Dreiklang? Vor wem oder wovor sollte das Süßwasser, von dem im Folgenden die Rede sein wird, verteidigt werden? In dem Kontext erhält auch das Attribut „ererbt“ eine andere, düsterere Tönung. Wer bei den „Angreifern“ instinktiv und zuerst an Landwirte oder Großindustrielle denkt (erschöpfend: Ritzer, Zwischen Dürre und Flut – Deutschland vor dem Wassernotstand: Was jetzt passieren muss, 2023, S. 115ff.), liegt nicht gänzlich falsch, leidet aber möglicherweise an einer geopolitischen Sehschwäche, deren Behebung Ziel dieses Beitrags ist (I.). Anschließend wird eine veränderte Perspektive auf die nationalen Wasserressourcen skizziert (II.).

I. Geopolitische Implikationen

Zunächst sollen in komplexitätsreduzierender Kürze ausgewählte zeitgenössische Konflikte vorgestellt werden, in denen Wasser tatsächlich „verteidigt“ wird. Dabei kann Wasser die interessenbestimmende Ursache eines Konflikts (1.), aber auch aggressiver Gegenstand der Konfliktführung (2.) sein. Einen Krieg ausschließlich um Wasser hat es in der jüngeren Vergangenheit aber nicht gegeben (Rahmig, Der Kampf ums Wasser. Jahrhundert der Dürre, 2023, S. 23). Die Bedeutung des Wassers folgt aus seiner zivilisatorischen und wirtschaftlichen Bedeutung und den begrenzten Möglichkeiten seiner Beschaffung. Hieraus erwächst das politische Bedürfnis, Ressourcenversorgungssicherheit herzustellen, woraus häufig die für das Rücksichtnahmegebot typische Situation entsteht, dass die Verwirklichung eigener notwendigerweise auf Kosten fremder Nutzungsinteressen erfolgen muss (eingehend zu den nachbarrechtlichen Grundprinzipien des internationalen Binnengewässerrechts Reichert, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2022, Kap. 13 Rn. 25ff.). Es überrascht daher nicht, dass die Regelung zwischenstaatlicher Konflikte über Nutzung und Schutz von grenzüberschreitenden Binnengewässern zu den ältesten Gebieten des internationalen Umweltrechts gehört (Reichert aaO., Kap. 13 Rn. 1, 4, 7).

1. Ausgewählte globale Konflikte um Wasserressourcen

Eine erste klassische Konfliktsituation besteht in der aus Sicht des geographischen Unterliegers übermäßigen Wassernutzung durch den Überlieger (a)), eine andere in der territorialen Beanspruchung bestimmter, wasserreicher Gebiete durch einen Unterlieger (b)).

a) Über-/Unterliegerkonflikte

Aktuelle Beispiele für Konflikte zwischen Über- und Unterlieger sind der Streit um die Wasservorkommen des Mekong und des Blauen Nils (weitere Beispiele bei Rahmig aaO, S. 23ff.).

Der Mekong ist der längste Strom Südostasiens und speist das landwirtschaftliche Zentrum Vietnams (Smedley, Die grosse [sic] Trockenheit – Hitze, Dürre, Wassernot, 2023, S. 4). Doch infolge des gestiegenen Wasserrückhalts durch die chinesischen Staudämme am Oberlauf des Flusses zur Gewinnung „grüner“ Wasserkraft dringt nun aufgrund des sich verändernden hydraulischen Gefälles Salzwasser aus dem Südchinesischen Meer ins Landesinnere Vietnams, weswegen die landwirtschaftlichen Erträge einbrechen (Smedley aaO, S. 50f.). Gleichzeitig ist China kein Vertragspartner des „Mekong-Agreements on the Cooperation for the Sustainable Development of the Mekong River Basin“, in dem „seine“ Unterlieger Laos, Vietnam, Thailand und Kambodscha um einen Ausgleich zwischen wirtschaftlicher Nutzung und nachhaltiger Entwicklung des Flusseinzugsgebiets ringen. Hinzu kommt die politische Überlegenheit Chinas, die eine Lösung des Problems zugunsten der vietnamesischen Landwirte in den Bereich der Utopie verdrängt. Eine Militarisierung des Konflikts seitens der Unterlieger wäre freilich aussichtslos.

Anders gestaltet sich die Situation um die „Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre“, wo Äthiopien zum Ärger der Unterlieger Sudan und Ägypten den Blauen Nil zur Wasserkraftgewinnung aufstaut (Rahmig aaO, S. 33ff.). Trilaterale Bemühungen zur Beilegung des Streits sind in dem seit mehr als zehn Jahren schwelenden Konflikt bislang und absehbar gescheitert. Der Präsident Ägyptens al-Sisi hat Äthiopien bereits mit Krieg gedroht. Ebendieser droht nun in Somalia zu entflammen, wo Ägypten Somalia in seinem Territorialkonflikt mit Äthiopien durch militärische Truppen unterstützt. Das 1999 initiierte Format der Nile Basin Initiative, in dem die Anrainerstaaten die Nilbewirtschaftung koordinieren, scheint an seine Grenzen gelangt zu sein. Am 13.10.2024 ist das Nile River Basin Cooperative Framework Agreement in Kraft getreten. Es steht zu hoffen, dass dies neue friedenssichernde Potenziale freisetzt.

b) Territoriale Beanspruchung wasserreicher Gebiete

Die spiegelbildliche Konstellation besteht darin, dass ein Unterlieger Versorgungssicherheit herzustellen trachtet, indem er Gebietsansprüche in Quellregionen geltend macht und gegebenenfalls gegenüber dem Oberlieger militärisch durchsetzt. Das betrifft zum einen das Hochland von Tibet, in dem die regional äußerst bedeutsamen Ströme Indus, Brahmaputra, Salween, Mekong, Jangtsekiang, der Gelbe Fluss sowie einige Nebenflüsse des Ganges ihren Ursprung haben wie auch die von Israel seit dem Ende des Sechstagekrieges 1967 besetzten, auf syrischem Staatsgebiet befindlichen Golanhöhen und südwestlichen Hänge des Hermon-Bergmassivs im Süd-Libanon, wodurch Israel sämtliche Quellflüsse des Jordan kontrolliert. Diese Kontrolle war ein nicht unerheblicher Grund für den Krieg (die Vorgeschichte nachzeichnend Rahmig aaO, S. 52f.). Angesichts des noch bis 2080 prognostizierten Bevölkerungswachstums werden die skizzierten Konflikte um Wasserressourcen intra- und international zunehmen, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent, wo sich die Bevölkerungszahl bis 2050 wohl verdoppeln wird.

2. Wasser als gegenständliche Kriegsgefahr

Wasser kann nicht nur Anlass, sondern auch Medium kriegerischer Auseinandersetzung sein. Ein präsentes Beispiel, in dem Wasser gewissermaßen als Waffe eingesetzt worden ist, liefert die Zerstörung der Kachowka-Stauanlage am 06.06.2023 im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Es handelte sich hierbei nicht nur um einen Staudamm zur Erzeugung von Wasserkraft, sondern auch um eine Brücke und einen Wasserspeicher, der zur Kühlung des Atomkraftwerks Saporischja sowie der Beregnung landwirtschaftlicher Flächen diente. Die Detonation hatte natürlich auch verheerende Auswirkungen auf angrenzende Ökosysteme. Aus wasserwirtschaftlicher Perspektive besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Schadstoffkontamination von Böden, die den chemischen Zustand des ihn durchsickernden Wassers verschlechtern. In der begrenzten Logik militärischer Auseinandersetzungen sind diese Belange freilich nachrangig. Die Sprengung von Staudämmen ist in kriegerischen Konflikten keinesfalls unüblich (Rahmig aaO, S.74f.), was Advokaten der Wasserkraftgewinnung durch Talsperren stets vor Augen haben sollten. Sie teilen mit Atomkraftwerken ihre besondere Eignung als Ziel terroristischer oder kriegerischer Attacken, woraus sich die sicherheitsrechtlichen Anforderungen an ihre Errichtung rechtfertigen (vgl. § 43 Abs. 1 AtomG iVm. §§ 4 Abs. 2 Nr. 5, 6 Abs. 2 Nr. 4 AtomG). Für den Betrieb von Wasserkraftwerken existiert bislang kein spezialgesetzliches Zulassungsregime (WD 5 – 083/22, S. 4).

II. Konsequenzen: Die Notwendigkeit einer Perspektivveränderung

Nach alldem drängt es sich auf, Wasser als nicht nur – aber freilich zuvorderst – lokal-ökologischen Bodenschatz, sondern als global-politischen Bodenschatz anzusehen, dessen Bedeutung mit fortlaufendem Klimawandel und Bevölkerungswachstum zunehmen wird. Während andere Staaten reichhaltige Ölvorkommen bewirtschaften, weist Deutschland ein reichhaltiges Wasservorkommen auf, das das Potenzial hat, langfristiger Standortvorteil im geopolitischen Wettbewerb zu sein. Schon heute finden wasserintensive Industrieansiedlungen auf deutschem Boden nicht nur aus transatlantischer Verbundenheit statt.

Der europäische Einigungsprozess und die inhärente Institutionenbildung, sind – besonders im Bereich der Gewässerbewirtschaftung – bedeutende Errungenschaften, die eine nicht zu unterschätzende Friedensdividende auszahlen. Die Anerkennung der Lebensleistung vorheriger Generationen darf aber nicht mit einer zur Selbstzufriedenheit einladenden Selbstbeweihräucherung verwechselt werden. Zwar hat sich der Forschungsdiskurs zwischenzeitlich von der lähmenden Perspektive auf Deutschland als „wasserreiches Land“ emanzipiert (die Entwicklung nachzeichnend: Laskowski/Reese/Ziehm, in: Koch/Hofmann/Reese (Hrsg.), Handbuch Umweltrecht, 2024, § 6 Rn. 10ff.). Solange Wasser aber nicht als erneuerbare Ressource begriffen wird, setzt sich die Deutschland aus guten Gründen lange eigene geopolitische Trägheit fort, der man mit der Ankunft der „Zeitenwende“ doch abzuschwören gelobt hatte. Leider adressieren bislang weder die Nationalen Rohstoffstrategien noch die Nationale Wasserstrategie noch die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung noch der Critical Raw Materials Act (CRMA) der EU-Kommission Wasser aus der hier verfochtenen Perspektive.

Denn die Nationalen Rohstoffstrategien aus den Jahren 2010 und 2022 und der CRMA aus 2024 beziehen sich allein auf nicht-energetische, mineralische Rohstoffe, die am Anfang einer Wertschöpfungskette stehen (BMWK, 2020, S. 2). In einer fragwürdigen Engführung verstehen die deutschen Strategiepapiere als mineralische Rohstoffe aber nur solche Bodenschätze aus natürlichen Lagerstätten, die durch Bergbau gewonnen werden (BMWi, 2010, S. 3). Im CRMA wird die Gewinnung von Rohstoffen eher als Zielkonflikt mit dem Gewässerschutz begriffen (Erwgr. 34, 60, Art. 13 Abs. 2 CRMA), was zwar zutrifft, dem (geo-)politischen Stellenwert eines auskömmlichen Wasserdargebots aber nicht gerecht wird. Konsequenterweise wird Wasser auch weder als strategischer (Anh. I Abschn. 1 CRMA) noch als kritischer Rohstoff (Anh. II. Abschn. 2 CRMA) qualifiziert. Die Nationale Wasserstrategie beschränkt sich auf blumige Zielprojektionen unter Aufzeigung wenn nicht wachsweicher, so doch reichlich unverbindlicher Zielerreichungspfade. Ein geopolitisch geschulter oder nur deutsche Außengrenzen überschreitender Horizont liegt ihr dezidiert nicht zugrunde. Die Nationale Sicherheitsstrategie verweist im Wesentlichen auf die Wasserstrategie und vermag ebenfalls keinen eigenständigen Beitrag zu leisten (BReg, 2023, S. 67f., passim). Immerhin nimmt der Entwurf des WBGU-Gutachtens „Wasser in einer aufgeheizten Welt“ eine globale Perspektive ein und enthält sogar einen kurzen Abschnitt zu geopolitischen Verschärfungen im Wasserressourcenmanagement (WBGU, 2024, S. 85f.).

Der Themenbereich Wasser verdeutlicht so, was für viele Gesellschaftsbereiche seit der „Zeitenwende“ diagnostiziert werden kann: Bis politisches Handeln auf der Höhe geopolitischer Realitäten stattfindet, sind noch viele Schritte zu gehen. Zu begreifen, dass Wasser für Deutschland die zentrale natürliche Ressource der Zukunft ist, ist einer davon. Die Formulierung des Erwgr. 1 WRRL lädt jedenfalls schon seit dem Jahr 2000 zum Nachdenken ein.

Omid Bechmann ist Doktorand im BMBF-geförderten Kompetenznetzwerk Umweltrecht (KomUR) am Lehrstuhl für Umwelt- und Planungsrecht von Prof. Dr. Kurt Faßbender in Leipzig.

 

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