Verordnung über die Wiederherstellung der Natur: Zwischen verfehlter Umsetzung erklärter Ziele und ignorantem Widerstand

Von Jan Markgraf.

Jan Markgraf

Der Verlust an Biodiversität nimmt stetig zu. 81% der europäischen Habitate befinden sich in einem unzureichenden oder schlechten Zustand, während nur 15% der europäischen Habitate von der Europäischen Umweltagentur als gut bewertet wurden. Gründe dafür sind der Klimawandel, zunehmende Verschmutzung der Natur und die Zurückdrängung von Lebensräumen. Damit einhergehend hat sich beispielsweise die Population der Wiesenschmetterlinge innerhalb der EU von 1991 bis 2020 um beinahe 30%, die Population der gemeinen Feldvögel um über 35% verringert. Ökosysteme, bestehend aus empfindlichen Wirkungsgefügen zwischen Lebensräumen und Arten, sind in der Folge massiv gestört. Daraus resultieren auch für die Menschen nicht zu unterschätzende Gefahren, basiert doch unsere Ernährung, Gesundheit und unser Wohlbefinden auf der Vielfalt der Natur.

 

Umso erfreulicher war die Nachricht, dass das Europäische Parlament am 27. Februar 2024 den Vorschlag der EU-Kommission zur Verordnung über die Wiederherstellung der Natur (im Folgenden: NaWi-VO) angenommen hat. Die Verordnung ist Teil der EU-Biodiversitätsstrategie 2030, welche zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt in Europa beitragen soll und wiederum Bestandteil des Green Deals ist. Nach dieser Verordnung sollen Land- und Meeresflächen ausgewählter Lebensraum- und Biotoptypen wie z.B. Moorwälder, feuchte Dünentäler sowie bestimmte Seegraswiesen und Muschelbänke (Anlage I und II der NaWi-VO) wiederhergestellt werden. Sollte der Rat der EU die Verordnung noch billigen, könnte die NaWi-VO in den nächsten Monaten in Kraft treten.

Kunming-Montreal-Rahmenabkommen und EU-Biodiversitätsstrategie 2030

Zurückführen lässt sich die NaWi-VO auf die Weltnaturkonferenz in Montreal (COP 15), welche im Dezember 2022 stattfand. Im Rahmen dieser Konferenz wurde am 19. Dezember 2022 das Kunming-Montreal-Rahmenabkommen (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework) verabschiedet. Mit vier langfristigen Zielen bis 2050 („Statusziel“ oder „Goal“) und 23 Zielen bis 2030 („Handlungsziel“ oder „Target“) wurde damit ein globales Übereinkommen zum Schutz der Natur vereinbart. Nach Handlungsziel 2 sollen die Vertragsstaaten sicherstellen, dass sich bis 2030 mindestens 30% der Flächen degradierter Land- und Meeresökosysteme in einem Prozess der wirksamen Wiederherstellung befinden. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit gewann daneben Handlungsziel 3: Demnach sollen die Vertragsparteien sicherstellen und ermöglichen, dass bis 2030 mindestens 30% aller Land- und Meeresflächen durch ökologisch repräsentative, gut vernetzte und gerecht verwaltete Schutzgebietssysteme und andere wirksame gebietsbezogene Erhaltungsmaßnahmen effektiv erhalten und gemanagt werden. Dabei sollen insbesondere Gebiete geschützt werden, die von besonderer Bedeutung für die biologische Vielfalt sowie die Ökosystemfunktionen und -leistungen sind.

Bisher wenig beachtet wurde, dass der vom Europäischen Parlament angenommene Entwurf zur NaWi-VO in Teilen von den völkerrechtlichen Zielen des Kunming-Montreal-Rahmenabkommens abweicht. Besonders erwähnenswert ist, dass die NaWi-VO, anders als in Handlungsziel 3 des Kunming-Montreal-Rahmenabkommens festgelegt, keine Unterschutzstellungen von Flächen vorsieht. Zwar heißt es in Erwägungsgrund 10 der NaWi-VO, dass wiederhergestellte Flächen „auch zu den Zielen der Union in Bezug auf Schutzgebiete beitragen dürften“. Weitergehende Staatsverpflichtungen hinsichtlich der Ausweisung von Schutzgebieten enthält die NaWi-VO jedoch nicht. Dies verwundert jedenfalls insoweit, als auch die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 aus Mai 2020 das Ziel vorsieht, dass zum Wohle der Umwelt, Wirtschaft und Erholung mindestens 30% der Land- und Meeresflächen der EU geschützt, davon sogar mindestens 10% der Flächen streng geschützt werden sollen. Noch im Oktober 2020 nahm der Rat der EU die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 an und erklärte: „Der Rat begrüßt das Ziel, ein kohärentes Netz gut verwalteter Schutzgebiete einzurichten und mindestens 30 % der Landfläche und 30 % der Meere der EU zu schützen.“

Realisierbarkeit des 30%-Ziels

Vom Deutschen Bauernverband wurde das Ziel der vermehrten Unterschutzstellung von Flächen als Gefahr für die Landwirtschaft und Ernährungssicherheit dargestellt. Nach dem Bundesverband der Deutschen Industrie würden industrielle Aktivitäten erschwert oder gar unmöglich gemacht. Anders als solche Kritiken vermuten lassen, sind bereits jetzt 26% der Landflächen und 12% der Meeresflächen innerhalb der EU im Rahmen des Netzes Natura 2000 geschützt. Damit bräuchte es nur noch weiterer 4% an Landflächen, um das 30%-Ziel an Land zu realisieren. In Deutschland stehen sogar ca. 37% der Landflächen und 45% der Meeresflächen unter naturschutzrechtlichem Schutz. Folglich hätte Deutschland das 30%-Ziel bereits erreicht. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass sich die Flächen bezüglich der Schutzanforderungen je nach Schutzgebietskategorie und Vorgaben zum Netz Natura 2000 unterscheiden. So haben Landschaftsschutzgebiete ein eher niedriges Schutzniveau – seit Februar 2023 ist selbst die Errichtung von Windenergieanlagen gem. § 26 Abs. 3 BNatSchG auf diesen Gebieten nicht mehr verboten. Hier zeigt sich, dass das bloße Unterschutzstellen einer bestimmten Flächenquote mit beliebigen Instrumenten aus §§ 20 ff. BNatSchG (Schutzgebietskategorien) für einen hinreichenden Schutz der Ökosysteme nicht unbedingt ausreicht. Nach den von der EU-Kommission 2020 herausgegebenen Kriterien und Leitlinien für die Ausweisung zusätzlicher Schutzgebiete soll beim Erreichen des 30%-Ziels aus der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 insbesondere das Netz Natura 2000 gestärkt werden. In Deutschland sind jedoch nur gut 15% der Landflächen Teil des Netzes Natura 2000. Unter Berücksichtigung der EU-Ziele samt Kriterien, Leitlinien und gewisser Mindeststandards an Schutz wird zu untersuchen sein, welche Schutzgebietskategorien für einen effektiven Schutz der Ökosysteme erforderlich sind und welche Schutzquote Deutschland vor diesem Hintergrund tatsächlich erfüllt. Zur Erreichung des 30%-Ziels könnte Deutschland jedenfalls in Teilen auf bereits geschützte Flächen zurückgreifen und diese an das erforderliche Schutzniveau anpassen. Weder Landwirtschaft noch Industrie würden dadurch gefährdet.

Wiederherstellung der Flächen geschützter Lebensraum- und Biotoptypen

Demgegenüber ist positiv hervorzuheben, dass Handlungsziel 2 des Kunming-Montreal-Rahmenabkommens, die Wiederherstellung von mindestens 30% der Flächen degradierter Ökosysteme, in der NaWi-VO als Staatsverpflichtung ausgestaltet ist. Nach Art. 4 Abs. 1 NaWi-VO sollen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Wiederherstellungsmaßnahmen ergreifen, um die in Anlage I der Verordnung genannten Lebensraumtypen, die sich nicht in gutem Zustand befinden, in einen solchen zu versetzen. Gleiches gilt nach Art. 5 Abs. 1 NaWi-VO entsprechend für die in Anlage II genannten Biotoptypen in den Meeresgebieten. Dafür sollen die Mitgliedstaaten nationale Wiederherstellungspläne i.S.d. Art. 14 ff. NaWi-VO entwickeln. Die Mitgliedstaaten werden dadurch nicht bloß zur Unterschutzstellung bestimmter Flächengrößen, sondern aktiv zur Verbesserung der Ökosysteme verpflichtet. Schrittweise sollen die Mitgliedstaaten zunächst 30% bis 2030, dann 60% bis 2040 und 90% bis 2050 der genannten Lebensraum- und Biotoptypen wiederherstellen.

Bei den Pflichten nach Art. 4 und Art. 5 NaWi-VO wurden im Rahmen eines Trilogs allerdings einige Veränderungen vorgenommen. Der informelle Trilog zwischen Vertretern von Kommission, Parlament und Rat der EU im November 2023 war nach Änderungen des ursprünglichen Entwurfs durch den Rat der EU und durch das Europäische Parlament erforderlich geworden. So hatte die EU-Kommission in ihrem ursprünglichen Entwurf die Wiederherstellung von mindestens 30% der Flächen jedes einzelnen Lebensraum- und Biotoptyps vorgeschlagen. Nach dem aktuellen Entwurf genügt die Wiederherstellung von mindestens 30% der Gesamtfläche der relevanten Lebensraum- und Biotoptypen bis 2030. Damit könnte von Wiederherstellungsmaßnahmen für einzelne Lebensraum- und Biotoptypen zunächst gänzlich abgesehen werden. Außerdem können Mitgliedstaaten aufgrund der Änderungen abweichend von Art. 4 Abs. 1 NaWi-VO gem. Art. 4 Abs. 2 NaWi-VO „sehr häufig vorkommende und weit verbreitete Lebensraumtypen, die mehr als 3% ihres europäischen Hoheitsgebiets abdecken, aus der betreffenden Gruppe von Lebensraumtypen ausnehmen, sofern dies für die Zwecke jenes Absatzes hinreichend gerechtfertigt ist.“ Darüber hinaus wurde noch eine Einschränkung des Anwendungsbereichs eingefügt. Weil unter den Mitgliedstaaten teilweise keine Informationen über die Zustände der Lebensraum- und Biotoptypen vorliegen, werden nur solche Flächen unter die Verpflichtungen der Art. 4 und Art. 5 NaWi-VO gestellt, die im nationalen Wiederherstellungsplan quantifiziert sind. Nach Art. 4 Abs. 9 und Art. 5 Abs. 7 NaWi-VO müssen die Mitgliedstaaten nun bis 2040 bzw. 2050 den Zustand der Flächen aller Lebensraum- und Biotoptypen aus Anlage I und II bestimmen.

Daneben haben die Mitgliedstaaten die Pflicht zur Etablierung der geschützten Lebensraum- und Biotoptypen auf sonstigen Flächen nach Art. 4 Abs. 4 und Art. 5 Abs. 2 NaWi-VO, um eine „günstige Gesamtfläche“ dieser Typen zu erreichen. Eine solche günstige Gesamtfläche ist nach Art. 3 Nr. 8 NaWi-VO dann gegeben, wenn die Fläche die erforderliche Mindestgröße aufweist, um den langfristigen Fortbestand des Lebensraum- oder Biotoptyps zu gewährleisten. Aber auch dafür wurde als Ergebnis des Trilogs eine Ausnahme vorgesehen. So kann nach Art. 4 Abs. 5 NaWi-VO „ein Mitgliedstaat, der der Auffassung ist, dass es nicht möglich ist, bis 2050 Wiederherstellungsmaßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um eine günstige Gesamtfläche eines bestimmten Lebensraumtyps auf 100 % der Fläche zu erreichen, in seinem nationalen Wiederherstellungsplan gemäß Artikel 15 einen niedrigeren Prozentsatz zwischen 90 % und 100 % festlegen“. Eine entsprechende Ausnahme für die Meeresökosysteme ist in Art. 5 Abs. 3 NaWi-VO geregelt.

Nach Art. 8 bis Art. 12 NaWi-VO werden die Mitgliedstaaten zudem zu weiteren Wiederherstellungsmaßnahmen verpflichtet. Demnach sollen städtische Ökosysteme, die natürliche Vernetzung von Flüssen und Auen, Bestäuberpopulationen, landwirtschaftliche Ökosysteme und Waldökosysteme wiederhergestellt werden. Anders als bei den Pflichten nach Art. 4 f. NaWi-VO werden bei den Pflichten nach Art. 8 ff. NaWi-VO aber größtenteils keine Wiederherstellungsquoten vorgegeben. So genügt nach Art. 8 Abs. 2 NaWi-VO ein „steigende[r] Trend in Bezug auf die nationale Gesamtfläche städtischer Grünflächen“, nach Art. 9 Abs. 1 NaWi-VO das Leisten eines Beitrags zum EU-Ziel der Wiederherstellung von mindestens 25.000 Flusskilometern. Nach Art. 10 Abs. 1 NaWi-VO müssen die Mitgliedstaaten die Vielfalt der Bestäuber, nach Art. 12 Abs. 1 NaWi-VO die Vielfalt der Waldökosysteme „verbessern“. Eine Ausnahme bildet Art. 11 NaWi-VO: Zwar genügen zur Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme auch hier grundsätzlich Maßnahmen, die die biologische Vielfalt „verbessern“. Nach Art. 11 Abs. 4 NaWi-VO müssen bei der Wiederherstellung von landwirtschaftlich genutzten und entwässerten Moorböden aber verpflichtende Quoten erreicht werden. Schrittweise müssen 50% dieser Flächen bis 2050 wiederhergestellt werden, von denen mindestens ein Drittel wiederzuvernässen ist.

Erreichung der gesetzten Ziele durch Wiederherstellung von Flächen?

Wie viele Flächen nun tatsächlich wiederhergestellt werden müssen, ist derzeit nur schwer abschätzbar. Nach Art. 1 Abs. 2 NaWi-VO ist Ziel der EU, bis 2030 mindestens 20% der gesamten Land- und Meeresflächen der EU durch einen Rahmen für Wiederherstellungsmaßnahmen abzudecken. Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten zur Erfüllung dieses 20%-Ziels enthält die NaWi-VO jedoch nicht. Zwar sollen die Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 1 NaWi-VO solche Wiederherstellungsmaßnahmen ermitteln, die auch „zur Leistung eines Beitrags zu den in Artikel 1 dargelegten übergeordneten Zielen […] erforderlich sind.“ Dafür werden die Mitgliedstaaten das 20%-Ziel aber nicht erfüllen müssen, wird doch jede einzelne Wiederherstellung genügen, um einen Beitrag zum 20%-Ziel zu leisten. Die Realisierung des 20%-Ziels hängt nun davon ab, ob die wiederherzustellenden Flächen einen erheblichen Teil der gesamten Land- und Meeresflächen der EU ausmachen. Nur dann könnten die Verpflichtungen aus Art. 4 bis Art. 12 NaWi-VO dazu führen, dass mindestens 20% der gesamten Land- und Meeresflächen in den Rahmen für Wiederherstellungsmaßnahmen fallen. Schlussendlich wird die EU-Kommission nach Erwägungsgrund 72 der NaWi-VO zu bewerten haben, ob die nationalen Wiederherstellungspläne geeignet sind, das Unionsziel nach Art. 1 Abs. 2 NaWi-VO zu erreichen.

Ebenso wenig ist klar, inwieweit sich die Wiederherstellung auf die Schutzquote der Land- und Meeresflächen auswirken wird. Zwar ist zu hoffen, dass die wiederhergestellten Flächen, soweit noch nicht geschehen, unter Schutz gestellt werden. In Erwägungsgrund 10 der NaWi-VO wird die Unterschutzstellung sogar als mögliches Mittel der Wiederherstellung genannt. („In einigen Fällen wird es ausreichen, diese Flächen […] unter strengen Schutz zu stellen, um ihre natürlichen Werte wiederherzustellen.“) Damit wird sich die Anzahl der Schutzgebiete wohl erhöhen. Selbst wenn den Verpflichtungen aus Art. 4 bis Art. 12 NaWi-VO hinreichend nachgekommen und alle wiederhergestellten Flächen unter Schutz gestellt würden, ist aber sehr zweifelhaft, dass dies zu einer Schutzquote von 30% der gesamten Land- und Meeresflächen der EU führen würde. Damit scheint schon jetzt klar, dass das 30%-Ziel aus dem Kunming-Montreal-Rahmenabkommen und der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 allein durch die NaWi-VO nicht erreicht werden wird.

Fazit und Ausblick

Das Kunming-Montreal-Rahmenabkommen bot Anlass, den europäischen Naturschutz zu stärken und dem stetigen Verlust an Biodiversität entgegenzuwirken. Leider verfehlt die NaWi-VO in Teilen die Ziele, die sowohl im Kunming-Montreal-Rahmenabkommen als auch in der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 angelegt sind. Anders als derzeit häufig zu lesen, werden die Mitgliedstaaten nach der NaWi-VO keineswegs zu einer Unterschutzstellung von Land- und Meeresflächen verpflichtet. Durch Änderungen an dem ursprünglichen Kommissionsentwurf werden den Mitgliedstaaten mehrere Ausnahmen gewährt, um auch die abgemilderten Ziele aus der NaWi-VO in Teilen umgehen zu können.

Andererseits ist die NaWi-VO in Form des Kompromisses zwischen den EU-Organen zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn die erklärten Ziele allein durch die NaWi-VO nicht erreicht werden – der Naturschutz wird, wenngleich in abgeschwächter Form, doch gestärkt. Daher ist zu hoffen, dass der Rat der EU die NaWi-VO noch billigen wird. Zwar sollte die Billigung des Rates der EU nach all den Zugeständnissen im Rahmen des Trilogs als sicher gelten. So hatte der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten auch noch im November 2023 dem Ergebnis des informellen Trilogs zugestimmt. In den darauffolgenden Monaten änderten sich dann aber die Mehrheitsverhältnisse im Rat der EU: In den Niederlanden hatte das Parlament mit großer Mehrheit einen Antrag angenommen, in dem die Regierung aufgefordert wurde, gegen die NaWi-VO zu stimmen. Wegen einer „hohen Bevölkerungsdichte und des hohen Drucks auf die Landnutzung aufgrund konkurrierender wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Ansprüche“ könne der NaWi-VO nach Ansicht des niederländischen Parlaments nicht zugestimmt werden. Daneben erklärten auch andere Mitgliedstaaten, unter ihnen Schweden, Italien und Polen, der NaWi-VO nicht zustimmen zu wollen. Begründet wurde dies unter anderem mit dem Schutz der Landwirtschaft und hohen Kosten für die Wiederherstellung der Natur. Nachdem schließlich auch Ungarn seine Zustimmung am 21. März 2024 zur NaWi-VO aus diesen Gründen zurückzog, war die erforderliche qualifizierte Mehrheit nicht mehr gegeben. Die eigentlich zum 25. März 2024 geplante Abstimmung im Rat der EU wurde daraufhin auf unbekannte Zeit verschoben. Bei all dem nun wieder aufgekommenen Widerstand zeigt sich: Die Rechtsfolgen aus dem aktuellen Entwurf der NaWi-VO werden von ihren politischen Gegnern maßlos überschätzt und verzerrt dargestellt. Ein rationaler Blick in die NaWi-VO würde genügen, um ihre tatsächlich überschaubare Tragweite zu erkennen – gerade im Vergleich zu den erklärten Zielen all dieser Staaten aus dem Kunming-Montreal-Rahmenabkommen. Die Mitgliedstaaten täten gut daran, nun nicht einzelnen, teils von Desinformationen geleiteten Interessengruppen wie der (Land-)Wirtschaft zu verfallen. Zu groß ist die Gefahr des unwiderruflichen Biodiversitätsverlusts.

Es bleibt abzuwarten, ob zumindest einige Staaten das Kunming-Montreal-Rahmenabkommen zum Anlass nehmen werden, ihre Ökosysteme stärker zu schützen, sodass das erklärte 30%-Ziel nicht gänzlich in Vergessenheit gerät. Durchsetzbare Pflichten zur Erfüllung des 30%-Ziels ergeben sich für die Staaten aus dem Kunming-Montreal-Rahmenabkommen als bloße politische Absichtserklärung jedenfalls nicht. Für Deutschland bleibt die Hoffnung, dass in Zukunft vermehrt Vorranggebiete für den Naturschutz ausgewiesen werden. Die Idee zur Schaffung eines „Naturflächengesetzes“ aus dem Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung der Bundesregierung vom März 2023 ist bislang allerdings noch nicht einmal zu einem Gesetzesentwurf oder Eckpunktepapier ausgereift.

Dipl.-Jur. Jan Markgraf ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand im BMBF-geförderten Kompetenznetzwerk Zukunftsherausforderungen des Umweltrechts (KomUR) am Institut für Staats-, Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht an der Universität Osnabrück.

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